Wimmerei im Souffleurkasten
Probelauschen für Stollberger Premiere der Moliére-Komödie "Der eingebildete Kranke"

Fotos: Andreas Tannert Von Liane Mainka

Wer sich entschließt den Leidensweg des "Eingebildeten Kranken" in der Stollberger Thea(l)ternativ-Fassung der Moliére-Komödie auf sich zu nehmen, dem sei geraten, einen wichtigen Hinweis aus dem Programmheft zu berücksichtigen: "Zu den riesigen Nebenwirkungenvergessen sie das Programmheft und verklagen Sie ihren Nachbarn oder Platzanweiser."

Obwohl zur Probe vorgestern eindeutig mehr oder weniger Chaos im Theatersaal regiert, sind die festen Konturen eines lachintensiven Theatererlebnisses durchaus erkennbar. Und schon jetzt zeichnet sich ab, mit welcher theatralischen Hinterlist Kay Haberkorn als der "Kranke" Argan das Publikum in Lachkrämpfe schaukelt. Der "versehentliche" Schubs, der Ihn ins mit Wasser gefüllte Sitzbad plumpsen läßt, scheint perfekt, auch wenn in der Probe auf das Wasser verzichtet wird. "Ich habe die betreffende Person...", hält Argan inne, beugt sich zum Soffleurkasten und fragt mit der Stimme von Haberkorn ganz leise: "Stimmt das?" Regisseur Michael Ö. Arnold ist froh, diesen Mann auf der Bühne zu haben. War doch das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg drauf und dran, dieses hochkarätige Talent als Berufsschauspieler abzuwerben.

Während es auf der Bühne um Textsicherheit geht, füllt sich der Notizzettel für das Zubehör. Da wird noch ein Spitzenhöschen gebraucht, dort ist die Kernseife nötig. Gerade heute sind wieder einige Akteure zur Probe beruflich verhindert. Ihr Part muß überbrückt werden. Arnold will einspringen, merkt es zu spät und saust herum mit dem erbarmungswürdigen Ruf: "Wo ist mein Text?" Inzwischen dringt ein Wimmern aus dem stark strapazierten Souffleurkasten - alle Essensvorräte sind aufgefuttert. Der gestreßte Insasse Jan Edelmann leidet und muß sich mit der keinen Widerspruch duldenden Bemerkung "Jetzt gibts nichts mehr" zufrieden geben. "Contenance bewahren...", schreibt jetzt das Textbuch vor. "Noch mal", zischt es dazwischen, denn irgendetwas wurde vergessen, im Spielverlauf unzustürzen. Es wimmelt von erotischen und hintersinnigen Anspielungen in der Komödie. Dann folgt eine Musikeinlage. Alle lachen, da hat jemand die falsche CD eingelegt. "Bitte macht das zur Premiere nicht, sonst springe ich hier runter", sagt Tino Floß, der die Rolle des Geliebten gibt und mit Alexandra Böhm ein Liebesduett zu singen hat, das eigens für diese Aufführung geschrieben wurde und sehr tränenrührig ist.

14 Leute agieren in dem Moliére-Klassiker auf der Bühne, die Hintermannschaft ist fast nocheinmal so groß. Die Thea(l)ternativen gibt es seit 1997, im Mai dieses Jahres gründeten sie einen Verein. Inzwischen ist man eine richtige Familie geworden, allerdings schlüpfen mangels männlicher Darsteller auch Damen in Herrenrollen. Das vereinseigene Probenpublikum jedenfalls amüsiert sich köstlich, besonders, wenn sich wieder einmal eine Probenpanne zum humoristischen Selbstläufer mausert. Aber noch ist ja Zeit, und das jetzige Wochenende nutzen die Freizeitmimen und ihre Helfer zu intensivem Training im Schullandheim Oelsnitz.

(Freie Presse vom 18. September 1999)