Wimmerei im Souffleurkasten
Probelauschen für Stollberger Premiere der Moliére-Komödie
"Der eingebildete Kranke"
Von Liane Mainka
Wer sich entschließt den Leidensweg des "Eingebildeten Kranken" in der Stollberger Thea(l)ternativ-Fassung
der Moliére-Komödie auf sich zu nehmen, dem sei geraten, einen wichtigen Hinweis aus dem
Programmheft zu berücksichtigen: "Zu den riesigen Nebenwirkungenvergessen sie das Programmheft
und verklagen Sie ihren Nachbarn oder Platzanweiser."
Obwohl zur Probe vorgestern eindeutig mehr oder weniger Chaos im Theatersaal regiert, sind die festen
Konturen eines lachintensiven Theatererlebnisses durchaus erkennbar. Und schon jetzt zeichnet sich ab,
mit welcher theatralischen Hinterlist Kay Haberkorn als der "Kranke" Argan das Publikum in Lachkrämpfe
schaukelt. Der "versehentliche" Schubs, der Ihn ins mit Wasser gefüllte Sitzbad plumpsen
läßt, scheint perfekt, auch wenn in der Probe auf das Wasser verzichtet wird. "Ich habe die
betreffende Person...", hält Argan inne, beugt sich zum Soffleurkasten und fragt mit der Stimme
von Haberkorn ganz leise: "Stimmt das?" Regisseur Michael Ö. Arnold ist froh, diesen Mann auf der
Bühne zu haben. War doch das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg drauf und dran, dieses
hochkarätige Talent als Berufsschauspieler abzuwerben.
Während es auf der Bühne um Textsicherheit geht, füllt sich der Notizzettel für das
Zubehör. Da wird noch ein Spitzenhöschen gebraucht, dort ist die Kernseife nötig. Gerade
heute sind wieder einige Akteure zur Probe beruflich verhindert. Ihr Part muß überbrückt
werden. Arnold will einspringen, merkt es zu spät und saust herum mit dem erbarmungswürdigen Ruf:
"Wo ist mein Text?" Inzwischen dringt ein Wimmern aus dem stark strapazierten Souffleurkasten - alle
Essensvorräte sind aufgefuttert. Der gestreßte Insasse Jan Edelmann leidet und muß
sich mit der keinen Widerspruch duldenden Bemerkung "Jetzt gibts nichts mehr" zufrieden geben.
"Contenance bewahren...", schreibt jetzt das Textbuch vor. "Noch mal", zischt es dazwischen, denn
irgendetwas wurde vergessen, im Spielverlauf unzustürzen. Es wimmelt von erotischen und
hintersinnigen Anspielungen in der Komödie. Dann folgt eine Musikeinlage. Alle lachen, da hat jemand
die falsche CD eingelegt. "Bitte macht das zur Premiere nicht, sonst springe ich hier runter", sagt
Tino Floß, der die Rolle des Geliebten gibt und mit Alexandra Böhm ein Liebesduett zu
singen hat, das eigens für diese Aufführung geschrieben wurde und sehr tränenrührig ist.
14 Leute agieren in dem Moliére-Klassiker auf der Bühne, die Hintermannschaft ist fast
nocheinmal so groß. Die Thea(l)ternativen gibt es seit 1997, im Mai dieses Jahres gründeten
sie einen Verein. Inzwischen ist man eine richtige Familie geworden, allerdings schlüpfen
mangels männlicher Darsteller auch Damen in Herrenrollen. Das vereinseigene Probenpublikum
jedenfalls amüsiert sich köstlich, besonders, wenn sich wieder einmal eine Probenpanne
zum humoristischen Selbstläufer mausert. Aber noch ist ja Zeit, und das jetzige Wochenende
nutzen die Freizeitmimen und ihre Helfer zu intensivem Training im Schullandheim Oelsnitz.
(Freie Presse vom 18. September 1999)