Urgesteine machen kleine Rollen groß

Zwei Vorstellungen am Premierenwochenende. Zweimal ausverkauft. Thea(l)ternativ ist bekannt für gute Aufführungen. Das Ensemble hat sich diesmal selbst übertroffen.


VON CRISTINA ZEHRFELD

STOLLBERG - Bei einem Klassiker wie "Pension Schöller" muss sich ein Amateurtheater allerhand einfallen lassen, wenn es den Anspruch hegt, nahe am Original zu bleiben und doch eine unverwechselbare Inszenierung zeigen will. Das dekorative, sparsame Bühnenbild und die etwas altväterlichen, zeitgenössischen Kostüme geben die Richtung vor. Einzige Änderung in der Besetzung: Aus dem pensionierten Major Gröber wird die pensionierte Oberschwester Kriemhild Gröber (Gabriela Lengsfeld). Zunächst wird dadurch erreicht, dass das Theater nicht zum billigen Verkleidungsstück gerät. Doch das Dragonerweib Gröber ist auch mehr als schaler Ersatz: Leicht überzeichnet, wirkt sie in ihrer herben Robustheit absolut stimmig und so eindrucksvoll, dass man bei ihrem Anblick innerlich stramm steht. "Eine liebliche Dame würde ich nicht spielen wollen", bekennt Gabriela Lengsfeld.

"Wir haben diesmal insgesamt ein wunderbares Ensemble", schwärmt Michael Ö. Arnold, der gemeinsam mit Katrin Zeidler Regie geführt hat. Ein Ensemble, welches sich vor allem durch eines auszeichnet: Bei Thea(l)ternativ spielen nicht die die großen Rollen, die immer die großen Rollen gespielt haben. Mancher Neueinsteiger bekommt bei entsprechender Eignung sehr schnell die Chance auf seinen großen Auftritt. Und das "Casting" hat in diesem Jahr perfekte Arbeit geleistet: Armin Bauer ist erst seit letztem Jahr dabei, doch in der Hauptrolle des Philipp Klapproth ist er ein Glücksgriff. Urgesteine des Ensembles haben sich dafür zurückgenommen und die vermeintlich kleineren Rollen groß gemacht: Silke Bauer-Hollenbach, die dem Ensemble seit der Gründung 1997 treu ist, spielt die spröde Frau Sprosser. Josephine Hofmann und Franziska Günther hauchen deren Töchtern kindisch-pubertierendes Leben ein. Überdreht und aufsässig die Schriftstellerin Josephine Krüger (Anett Österreich), weltmännisch-lässig Weltenbummler Fritz Bernhardy (Simon Hollenbach), schüchtern-zurückhaltend Alfred Klapproth und etepetete die Pensionschefin Schöller (Katrin Zeidler). Christian Schreier ist erst seit 2010 im Ensemble, doch als Schauspielschüler Eugen Rümpel hat er eine Paraderolle. "Sie müssen nämnich wissen, der schreckniche Buchstabe ,n' macht mir noch immer einige Schwierigkeiten", erklärt er seinen Sprachfehler und deklamiert seine urkomische Rolle ernsthaft und beharrlich, ohne das Toben im Saal auch nur mit einem Schmunzeln zu quittieren.

(Freie Presse vom 22. November 2011)